Leise vs. laute Weine - die Anleitung für den perfekten Sound in Nase und Gaumen

Jedem ansatzweise ambitionierten Weingeniesser ist sicher aufgefallen, dass sich der Duft mancher Weine über dem Esstisch verströmt, kaum sind die Gläser eingefüllt. Sie schreien dich – in aromatischer Hinsicht – geradezu an und drücken dir ihr ausdrucksstarkes Qualitätsversprechen mit Wucht auf deine Geschmacksknospen. 

Andere Weine machen sich, auch nachdem man seine Nase tief ins Glas gesteckt hat, nur ganz zögerlich bemerkbar. Sie bleiben verschlossen, scheu und flüstern dir ihre Herkunft und ihr Qualitätsgeheimnis ganz leise in Gaumen und Nase. 

Von Christof Zeller DipWSET, Weinakademiker

Jede Rebsorte ein eigener Musikstil

 

Um Missverständnissen vorzubeugen: Damit ist keine Aussage über die Qualität der Weine verbunden und doch bleibt die Frage, warum es so unterschiedliche Weinstile bzw. -sounds gibt?! 

 

Jede Rebsorte ein eigener Musikstil 

Grundsätzlich werden heute für die Weinproduktion ausschliesslich Rebsorten der europäischen Edelrebe «Vitis vinifera» verwendet (eine Ausnahme ist z.B. der «Uhudler» aus dem österreichischen Burgenland, welcher aus verschiedenen, wilden Rebsorten produziert wird und ein ganz eigenes «fuchsiges» Aroma aufweist). 

Die aus der europäischen Edelrebe entstandenen Rebsorten werden in aromatische und nicht aromatische Sorten unterteilt.

 

Typische Beispiele aromatischer, lauter Rebsorten sind

oder im Bereich der roten Traubensorten

 

Zu den leiseren Weinen und Rebsorten gehören z.B.

Im roten Weinbereich eher selten, könnte man vielleicht den

 

Wie gesagt, über die Qualität der Weine sagt diese Einteilung nichts aus! Die Rebsorte bildet jedoch als wichtiger Bestandteil am Sound quasi die Grundmelodie oder die Basslinie, auf welche der Winzer seine eigene Komposition aufbauen kann. 

 

Die Musikinstrumente im Rebberg 

Der grösste Stromausfall auf der Konzertbühne der Weinproduktion war unbestritten die Reblaus (Phylloxera). Von Nordamerika eingeschleppt, hatte sie um 1885 – allein in Frankreich – rund 2,5 Millionen Hektar Rebberge vernichtet! 

Heute sind 99 % aller Reben aufgepfropft, das heisst es wird eine reblausresistente Unterlagsrebe (quasi die Wurzel) gepflanzt und auf diese die gewünschte, europäische Edelrebsorte aufgesteckt. Bereits hier kann sich der Winzer entscheiden, ob er eher wuchsstarke Unterlagsreben pflanzt, mit deren Trauben er seichte Chartstürmer produziert kann oder ob er wuchsarme Wurzeln einsetzt, um seine Weine als wuchtige Opern zu inszenieren. 

Während der Wachstumsphase entscheidet der Winzer im Rebberg ausserdem über die Reife der Trauben (klar, grundsätzlich spielt das Wetter hier die erste Geige), indem er mehr oder weniger Laubarbeiten macht, das heisst, ob er Blätter von den Reben abschneidet, damit die Trauben stärker der Sonne ausgesetzt sind. Ebenso muss er sich fragen, wie aromatisch und dicht die Weinmelodien später klingen sollen, indem er die Grünernte einsetzt oder darauf verzichtet. Grünernte ist das Abschneiden grüner Traubenbündel, um eine Konzentration der Nährstoffe, Mineralien und Aromen in den verbleibenden Trauben zu erreichen. 

Kurz bevor die Trauben im Weinkeller verschwinden, dirigiert der Winzer noch einmal – je nach Musikwunsch – ein Crescendo oder Diminuendo, indem er den Lesezeitpunkt für die Trauben bestimmt. Damit entscheidet er über die Zuckergrade (und dadurch indirekt auch über den Alkohol im Wein), die phenolische Reife (eher grünliche Aromen oder überreife Fruchttöne), die Reife der Tannine und die verbleibende Säure in den Trauben. 

 

Der Weinkeller als Bandraum für die Konzertprobe 

Bevor die neuen (Wein-)Kompositionen in den Verkauf gelangen, schlägt die grosse Stunde des Kellermeisters. Im Keller – quasi das Tonstudio und der Bandraum – werden die einzelnen Töne aufeinander abgestimmt, zu einer harmonischen Melodie zusammengefügt und da und dort noch etwas neu ein- oder darüber vertont.  

 

 

Die sog. Ausbaustilistik bestimmt in einem letzten Schritt, ob die Weine Punkrock, Pop oder Klassik werden. Feingeister schwören darauf, dass man das Traubenmaterial, welches die Natur liefert, im Keller nie besser, höchstens schlechter machen kann. Sie möchten die Sortentypizität und sogenannte Terroirnoten (das heisst, die Mineralien aus den Böden, das Klima im Rebberg etc.) möglichst puristisch erhalten. Um dies zu erreichen, arbeiten sie mit rebbergeigenen Hefen, wenig Filterung und Schönung und ohne Ausbau im Eichenfass. Ein gutes Beispiel für diese feinen Zwischentöne und filigranen Weinkompositionen ist der Weissburgunder Plötzner der Kellerei St. Pauls.

Andere Kellermeister veranstalten eher ein Rockkonzert im Keller, indem sie die Weintraube als ihre Leinwand benutzen und ihre Weinvision darauf projizieren. Voller Einsatz spezifischer Zuchthefen, lange Maischestandzeiten (bei Rotwein bleibt der Saft nicht selten mehr als 20 Tage auf den Traubenschalen), Saftabzug zur Erhöhung der Ausdruckskraft und Lautstärke, stark getoastete bzw. auf der Innenseite angebrannte Eichenfässer (sogenannte Barriques) und ausgiebige Lagerung im Keller.

Ein sehr ansprechendes Beispiel dieses Produktionsstils ist u.a. der Chardonnay Sanct Valentin der Kellerei St. Michael Eppan.

 

Die Weinhitparade 

Wie in der Musikhitparade gibt es nicht DEN richtigen oder besten Wein. Je nach Stimmung, Wetter oder Jahreszeit bevorzugt man leise oder laute Weine. Wichtig ist es, immer wieder verschiedene Kompositionen auszuprobieren, um die persönlichen Präferenzen kennenzulernen. So hat man für jede Gemütslage, jeden Anlass oder zum Begleitessen die passenden Weine im Keller. 

Zur persönlichen Weinmelodie hier lang.