Im Westen nichts Neues oder oscarwürdige neue Innovationen in der Weinwelt?!

Kalauern unter Weingeniesserinnen und Weingeniesser

Kommt unter Weinenthusiasten die Sprache auf die neuesten Trends und die vermeintlich noch geheimen, bahnbrechenden Entwicklungen in der Weinbranche, geht mit ziemlicher Sicherheit das sogenannte «Buzzword»-Bingo los: Man kalauert sich - mehr oder minder lustvoll - an den geläufigsten Modebegriffen der Weinbranche ab; aufgrund des manchmal eher oberflächlichen Halbwissens mit arg begrenztem Innovationsgehalt. Übliche «Evergreen»-Themen dürften (in absteigender Reihenfolge) wahlweise die Stichworte Naturwein inkl. Pet Nat und Orangewein, Spontanvergärung und Reinzuchthefen, Ausbau in Amphoren, Biodynamie (dazu unser Blogbeitrag «Das kolloidale Fladenpräparat»), «Sober Curiosity» (eine konsequente Weiterentwicklung des «dry january»-Konzepts) und nicht zuletzt die Folgen der Klimaerwärmung auf den Weinanbau sein.

 

Keine Frage, das sind alles sehr wichtige Themen, mit welchen auch wir uns tagtäglich intensiv auseinandersetzen! Nur sind sie nicht mehr ganz so neu… Wollen Sie bei der nächsten Weinrunde punkten - dann lesen Sie unsere Inputs zur Klonselektion bei der Chardonnay Traube und dem neusten Phänomen des verstärkten Phenoleintrags und Gerbstoffgerüsts bei Weissweinen (direkt aus dem Notizbuch eines zukünftigen Masters of Wine)!

Von Christof Zeller DipWSET, Weinakademiker

Weinvogel Weinberge

 

Der Kampf der Klone: Chardonnay 95 oder 96?

Wie die Vermehrung der einzelnen Edelrebsorten (vitis vinifera) funktioniert, dürfte hinlänglich bekannt sein bzw. würde einen eigenen Beitrag rechtfertigen. Dieses Wissen vorausgesetzt, handelt sich bei der im Titel aufgeworfenen Frage um eine spannende Diskussion, in Bezug auf die Unterschiede der beiden Chardonnay-Klone 95 und 96 und ob diese sensorisch feststellbar sind bzw. qualitativ in einer Reihenfolge gebracht werden können.

 

Wir sind uns übrigens dem Detaillierungsgrad dieser Frage durchaus bewusst - beispielsweise liegen die genetischen Ausprägungen der Trauben aus der Pinot-Familie (Grauburgunder, Weissburgunder, Pinot Noir, Pinot Meunier etc.) teilweise so nahe beieinander, dass man die einzelnen Elternteile nicht mit absoluter Sicherheit bestimmen kann. Hingegen wurde die hier interessierende Chardonnay-Traube, welche lange auch zur Familie der Pinot-Gewächse gezählt worden ist, mittlerweile eindeutig als nicht zugehörig bestimmt - obwohl sie notabene ihren Ursprung ebenfalls im Burgund hat.

 

Nun, zu unserer aufgeworfenen Frage: Um überhaupt die geschmacklichen Nuancen der unterschiedlichen Klonselektionen prüfen zu können, bedarf es einem nachweislich mit nur einem Klon bepflanzten Rebberg und einem in der Lage, Boden und dem Rebenalter vergleichbaren Rebberg mit einem anderen Klon (fragen Sie ruhig einmal bei einem Winzer nach - sie werden überrascht sein, wie häufig Rebberge im sog. Mischsatz zumindest mit unterschiedlichen Klonen, wenn nicht sogar unterschiedlichen Sorten angelegt worden sind). Diese Konstellation ist nicht ganz einfach herzustellen und z.Z. vor allem in der neuen Welt anzutreffen (Südafrika und Kalifornien). Weinvogel ist noch auf der Suche nach einem vergleichbaren Experiment im Südtirol.

 

In Bezug auf Chardonnay lässt sich festhalten, dass die Klone 95 und 96 rund um die Rebschule bei Dijon entstanden sind und der Klon 96 am häufigsten in der Welt anzutreffen ist, da er sich relativ gut an die unterschiedlichen Bedingungen anpassen kann. Der Klon 95 hingegen weist etwas luftigere Traubenbündel auf, bringt eher etwas geringere Erträge hervor, dafür eine höhere Zuckerleistung (und damit eher höhere Alkoholgradationen) und weniger kompakte Trauben. Er ist aber trotzdem botrytisempfindlich. Bei leicht unterdurchschnittlichem Ertrag kann man beim Klon 95 eine höhere Zuckerleistung erwarten. Nach intensiver Blindverkostung ohne zu wissen, was der Unterschied zwischen den zwei verkosteten Weinen war (!), lassen sich im Aromaprofil denn auch erstaunliche Unterschiede feststellen. Der Klon 96 ist dabei etwas breiter, cremiger und scheint etwas mehr Reife aufzuweisen und der Klon 95 überzeugt durch seine gute Struktur, sein Säuregerüst und die frische Mineralik im Gaumen. Dies machen sich übrigens auch die Schaumweinproduzenten in der Champagne oder auch im Südtirol zunutze. Um einen ausgewogenen Wein zu kreieren werden in der Regel in einem Rebberg mehr als ein Klon gepflanzt.

 

Weinvogel Blog

 

Die bittere Wahrheit: Phenole und Gerbstoffe als Aromageber für Weisswein

Selbstverständlich gibt es ein bewährtes Rezept für gute, konventionell produzierte Weine: Man nehme vollreifes Traubengut, ein paar Gramm Weinsäure zur Kompensation des Klimawandels, eine geeignete Reinzuchthefe, eine gute Handvoll Schwefel(dioxid), etwas Eiklar und Bentonit zur Klärung und Stabilisation des Weins und zu guter Letzt noch einmal etwas SO2 (Schwefeldioxid), um die langjährige Haltbarkeit zu garantieren.

 

Daran ist überhaupt nichts auszusetzen und unsere Keller sind zu geschätzt 80% mit diesen erstklassigen Weinen gefüllt! Trotzdem ist es sinnvoll, sich mit anderen Perspektiven und (naturnäheren) Produktionsmethoden auseinanderzusetzen, da es eine nicht mehr ganz so kleine Gruppe von Winzerinnen und Winzer gibt, die das Ziel verfolgen, möglichst viele dieser einzelnen Puzzleteile wegzulassen, um die natürliche Weinaromatik und das sog. Terroir noch uneingeschränkter zur Geltung zu bringen (und dadurch auch die Komplexität des Weins zu erhöhen). Aus dieser erstrebenswerten Vision ergeben sich jedoch wieder neue Herausforderungen: Werden durch die Spontanvergärung die richtigen Aromen gefördert (oder entwickeln sich Fehlaromen), sind die Säurewerte ausreichend hoch, um zur Konservation des Weins beizutragen und haben die Trauben trotzdem eine gute phenolische Reife erreicht. Oder eben: Wie kann ich sicherstellen, dass meine Weine auch während längerer Zeit im Keller stabil bleiben und sich mit zunehmender Reife wie gewünscht entwickeln. Hier kommen die in den Traubenhäuten steckenden Phenole und Gerbstoffe ins Spiel.

 

Tannine, auch als Polyphenole oder Gerbstoffe bezeichnet (wobei sich hinsichtlich dieser fehlenden Differenzierung bereits die Geister scheiden), sind natürliche, organische Verbindungen, die sowohl in den Traubenhäuten, als auch im Stielgerüst, den Kernen und den Samen in den einzelnen Traubenbeeren vorkommen. Sie sorgen einerseits für das mehr oder weniger raue Gefühl auf den Zähnen und können - in diesem Kontext eher als Gerbstoffe bezeichnet - zu einem austrocknenden und adstringierenden sowie strukturgebenden Gefühl im Gaumen führen. Für die Weinproduktion versucht man grundsätzlich die Tannine, Phenole und Gerbstoffe aus den Traubenhäuten zu extrahieren, da diejenigen aus den Traubenkernen in der Regel für ein bitteres, unangenehmes Mundgefühl sorgen. Es ist deshalb elementar, den Druck der Weinpressen entsprechend zu justieren, sodass die Traubenkerne nicht verletzt werden.

 

Grundsätzlich sind Tannine und Gerbstoffe ein Thema für Rotweine. Immer häufiger werden jedoch auch bei (naturnah produzierten) Weissweinen - diese Trauben weisen insgesamt einen geringeren Tanningehalt auf - die Gerbstoffe dazu genutzt, um den Wein zu stabilisieren, in warmen Jahrgängen die Säure zu unterstützen (Gerbsäure ist neben der Apfel- und Milchsäure die dritte relevante Säure) und etwas Struktur sowie Salzigkeit in die Weine zu integrieren. Da, wie erwähnt, Weissweine weniger Tannine und Gerbstoffe aufweisen als Rotweine, muss für die Extraktion in die Trickkiste gegriffen werden. Die Zauberworte lauten Kaltmazeration, Ganztraubenvergärung oder Pressung und Vergärung mit dem Stielgerüst. Bei all diesen Verfahren und Spielereien ist es wiederum elementar, das richtige Mass zu finden und nur reife Stiele zu benutzen. Ansonsten kommt die eingangs erwähnte bittere Wahrheit zum Tragen und der Wein wird adstringierend bis ungeniessbar. Eine weitere Schwierigkeit dieser Produktionsmethode zeigt sich wiederum im durch die Stielgerüste veränderten pH-Wert der Trauben.

 

Sie sehen, alles in allem ein nicht ganz einfaches Unterfangen, mit diesen Produktionsmethoden gute Weissweine zu produzieren. Die Kellerei St. Pauls ist darin äusserst erfolgreich (und pflegt zudem ein konventionelles Aromaprofil), sogar ihr Topprodukt der Weissburgunder Sanctissimus wird nach diesem Konzept produziert! Ebenfalls ein entsprechender Geheimtipp ist das Weingut Abraham (schreiben Sie uns eine Email, falls Sie die exklusiven Weine dieses Weinguts probieren möchten - diese finden Sie nicht einmal auf unserer Webseite).

 

Wir wünschen viel Spass bei Ihrem kommenden Weinabend, auf dass Ihren Kolleginnen und Kollegen vor lauter Staunen über Ihr Insiderwissen das Weinglas aus der Hand fällt.