Wein-Raritäten und weshalb nicht jede Rarität automatisch gut sein muss

Was macht einen Wein zu einer Rarität, zu einem Kultwein oder sogenannten «fine wine»

Wein ist nicht gleich Wein, ist nicht gleich Wein. So vielfältig das Weinuniversum, so unterschiedlich auch die Menschen, die Wein geniessen, darüber sprechen oder dazu scheiben. In der Vielfalt dieses Universums der Aromen und Begrifflichkeiten hilft vielleicht ein kurzer Definitionsversuch, um über dieselben Inhalte zu sprechen (oder vielmehr die Flascheninhalte mit einem gemeinsamen Verständnis zu geniessen).

Etwas einfacher fällt die Annäherung an den Begriff Weinrarität. Unzählige Ursachen können dazu führen, dass ein Wein rar ist oder wird. So einerseits durch die Grösse des vorhandenen Rebbergs im Besitz des Winzers - Pinot Noir aus der Bündner Herrschaft entsteht teilweise je Winzer auf lediglich 2 - 3 Hektaren, was eine natürliche Beschränkung der jährlichen Flaschenanzahl bedeutet. Ein anderer Grund ist die Begrenzung der Mikrolage, sei es aufgrund des Terroirs oder aus gesetzlichen Gründen. Der teuerste Wein der Welt, der namensgebende Grand Cru Romanée-Conti der Domaine de la Romanée-Conti wird auf einer gesetzlich abgegrenzten Einzellage mit 1,8 Hektaren erzeugt. Dies ergibt jährlich ungefährt 8'000 - 12'000 Flaschen à CHF 3'800 / Flasche, so man jemals überhaupt die Chance erhält, eine Flasche erstehen zu dürfen.

Ein weiterer - wohl der häufigste - Grund, welcher Weine zu Raritäten werden lässt, ist der Faktor Zeit: Je länger ein Wein reifen kann - bekanntestes Beispiel sind hier wohl die Süssweine aus dem Sauternes - insbesondere diejenigen des gleichnamigen Château d’Yquem. Je mehr Zeit verstreicht, umso weniger Flaschen dieser Weine sind im Umlauf, obwohl deren Qualität durch die Reifung weiterhin zunimmt (oder zumindest für lange Zeit nicht abnimmt). Aktuell ist die Existenz von noch zwei Flaschen Château d’Yquem aus dem Jahr 1811, einem sogenannten Kometenjahrgang (dazu ein andermal mehr), offiziell bestätigt. Eine Flasche davon, welche gemäss Sommelier noch geniessbar sei, liegt im Keller des Hotels Vitznauerhof in der Zentralschweiz…

Bei diesen einzigartigen Weinen, welche über eine lange Dauer mit ihren herausragenden Qualitäten überzeugt haben und in Weinkreisen auf der ganzen Welt bekannt sind, darf man wohl getrost auch von Kultweinen sprechen! Welche weiteren Weine ebenfalls das Prädikat Kultwein verdient haben, klären wir zu einem späteren Zeitpunkt. Soviel sei verraten: Ganz sicher nicht diejenigen, welche bei einer Internetrecherche mit dem Stichwort «Kultwein» zuoberst erscheinen…

Von Christof Zeller DipWSET, Weinakademiker

 

Wert, Preis und Qualität: Auch beim Wein eine ziemlich komplexe Dreierkiste

Nur weil ein Wein rar oder «Kult» ist, muss er nicht zwingend auch gut sein… Oder anders formuliert: Nur weil ein Wein gut ist, muss er nicht zwingend teuer oder «Kult» sein. Wieso kosten gewisse Bordeaux über CHF 1000, andere Top-Weine gibt es für CHF 30 und eine grosse Palette ist für unter CHF 20 zu haben?

Der übliche Disclaimer, bevor wir uns einige Gedanken dazu machen: Geschmack und Qualität lassen sich häufig ganz schlecht objektivieren. An dieser Alchemie der Vereinheitlichung versucht sich unser Weinakademiker bei jedem neuen Jahrgang, indem er mittels Quervergleichen und Blindverkostungen die Anzahl (visueller) Ablenkungen reduziert, um zumindest ansatzweise objektiviert die Dichte, die Länge, die Aromaintensität und die Harmonie eines Weins zu bestimmen.

Also, zurück zu diesen - objektiviert - guten Weinraritäten und «Kultweinen». Der Wert eines Weins setzt sich aus sogenannten harten und weichen Faktoren zusammen: Harte Faktoren bilden die Kosten des Grundstücks, auf welchem der Wein angebaut wird (gute Lagen sind rar und teuer - die Kredite müssen bedient werden). Kellertechnik kostet, Ertragsreduktion ebenso. Das durch eine erhöhte Lagerungsdauer gebundene Kapital muss gerechnet werden, ein neues französisches Eichenfass schlägt mit rund CHF 1'000 zu Buche, Hand- statt maschinelle Ernte bedeutet Lohnzahlungen usw. Diese harten Faktoren schlagen sich einerseits zwar unmittelbar im Preis pro Weinflasche nieder, haben jedoch andererseits einen unmittelbaren Einfluss auf die Weinqualität. Zudem resultiert aus dem reduzierten Ertrag je Rebe eine Verknappung des Weins, was - bei entsprechender Nachfrage - zu einer natürlichen Preissteigerung (häufig nur im Sekundärmarkt) führt.

Weiche Faktoren, welche keinen unmittelbaren Einfluss auf die Weinqualität haben bzw. in keinem Zusammenhang mit der Weinqualität stehen sind zum Beispiel die subjektive Wahrnehmung der Winzer/innen oder der Konsumenten (durch eine schwerere Flasche, eine dunklere Weinfarbe, oder eine hochwertig gedruckte Etikette). Die subjektive Wahrnehmung kann durch intensives Luxusgütermarketing beeinflusst werden - diese muss wiederum refinanziert werden, was sich auf die Weinpreise, nicht jedoch auf die Qualität auswirkt. Ebenso können Vertriebsstrukturen aufgebaut werden, in welchen hohe Preise vorgegeben und mittels Kopplung an andere Weine durchgesetzt werden. Ein mittlerweile beliebtes Vorgehen bildet auch die Bewerbung eines Wein mittels einer prominenten Person, wodurch der Kauf und Konsum dieser Weine subjektiv erstrebenswerter erscheint.

Weine, welche aufgrund einzelner harten Faktoren etwas mehr kosten, dürften in der Regel ihren Preis wert sein. Der Umkehrschluss, dass weiche Faktoren und die dadurch erhöhten Preise einen Hinweis auf schlechte Weinqualitäten sind, ist jedoch nicht zulässig. Vorsichtig sein lohnt sich aber in diesen Fällen immer.

Darf man Tignanello noch trinken oder outet man sich als Weinbanause?

Als meistgefälschter Wein der Welt gilt der regelmässig als Rarität und «Kultwein» bezeichnete Supertoskaner Tignanello (Begründer dieser Weinkategorie). Sollten Sie es ausnahmsweise hinkriegen, für durchschnittlich rund CHF 140 eine nicht mit süditalienischem Primitivo gefüllte, sondern echte Flasche Tignanello zu ergattern, kann es sein, dass Sie beim Genuss der Rarität enttäuscht sind. Mit der grossen Nachfrage, welche der Begründer der Weinkategorie «Supertuscan» erzeugt hat, versuchte man auch konstant das Angebot anzupassen, indem immer neue Rebflächen für die Produktion des Tignanellos genutzt wurden, welche im ursprünglichen Wein nicht verwendet worden sind.

Es dürfte einleuchten, dass beste Rebberge nicht beliebig verfügbar sind. So wurden wohl auch eher unterklassige Rebberge für den Tignanello genutzt, womit die Erntefläche für den Tignanello aus einer zum heutigen Zeitpunkt sage und schreibe 57 Hektar umfassenden «Einzellage» besteht. Ob ein Tignanello nach wie vor hält, was er ab 1971 respektive spätestens ab 1985 versprach und was die Legende um den Kultwein Tignanello begründet hatte, können wir nicht abschliessend beurteilen. Ebenso bleibt die Frage offen, ob man bei 57 Hektaren noch von einer Einzellage und einer Weinrarität sprechen kann (pro Hektar werden +/- 10'000 Flaschen produziert, was ein Flaschenausstoss von über einer halben Million pro Jahr bedeutet).

Wir haben natürlich gut reden, da wir bereits mehrfach die Gelegenheit hatten, unterschiedliche Jahrgänge dieses Weins zu verkosten. Bilden Sie sich Ihre eigene Meinung: Eine Flasche Tignanello 2019 kaufen.