Jahrgangsbericht Südtirol 2023: Ein Wechselbad der Gefühle

Genaues Hinschauen lohnt sich auf dem Sortiertisch und beim Weineinkauf

Wir haben uns mit mehreren Winzerinnen und Winzern aus den unterschiedlichen Subregionen des Südtirols über die Bedingungen im Rebberg, über die Traubenernte 2023 und über die zu erwartenden Weine unterhalten. Fairnesshalber verzichten wir darauf, unsere Gesprächspartnerinnen und -partner beim Namen zu nennen - im Gegenzug erhielten wir ungeschönte Jahrgangsberichte, in welchen unisono auf die extremen Wetterkapriolen verwiesen wurde, welche die Rebbergarbeit zum Spiessrutenlauf werden liessen. Oder anders ausgedrückt: Die Qualität der einzelnen Weine des Jahrgangs 2023 entscheidet sich für einmal auf den Trauben-Sortiertischen und bei den Fähigkeiten der einzelnen Kellermeister/innen.

Von Christof Zeller DipWSET, Weinakademiker

Makroaufnahme grüne Traubenbeeren unterschiedlicher Grösse mit Blättern der Rebe im Hintergrund und durchscheinender Sonne

Weltweite Weinproduktion 2023: So wenig Menge wie seit 60 Jahren nicht mehr

Das wichtigste Vorweg: Pauschal von der Quantität auf die Jahrgangsqualität bzw. die Traubenqualität zu schliessen ist nicht nur unredlich, sondern schlicht falsch! Schliesslich entstehen die besten Weine der Welt aus den Trauben der Rebstöcke, welche die geringsten Erträge aufweisen.

Um die Ursachen dieses Produktionsrückgangs zu ergründen, lohnt es sich auch hier, genauer hinzuschauen. Und dabei zerschlägt sich eine weitere - zumindest aus Südtiroler Sicht hoffnungsvolle - Hypothese: Hätte ja sein können, dass der globale Produktionsrückgang durch die riesigen Waldbrände in Australien oder Überschwemmungen in Deutschland verursacht wurden. Dem ist jedoch nicht so. Die Wein- bzw. Traubenmenge ist, dort wo sie rückläufig war - auf der ganzen Welt mehr oder minder gleichmässig zurückgegangen. Für Italien beträgt der Rückgang «nur» -12%, was immerhin die kleinste Ernte seit den historischen Ernteausfällen im Jahr 2017 bedeutet. Und ja, die Ursache dafür sind nicht eine bewusste Ertragsreduktion oder die Auflösung von Rebflächen, sondern effektiv die durch extreme Wetterbedingungen verursachten Ernteausfälle (genaue Zahlen und weitere Ursachen finden Sie auf der Seite der Internationalen Organisation für Rebe und Wein, der OIV).

Fasswand aus dem Weinkeller von Nals Margreid

Das Weinjahr im Südtirol als Abbild Italiens

Begonnen hat das Weinjahr im Südtirol mit einem eher frühen Austrieb bei zwar milden Temperaturen, jedoch bereits mit dem ersten Trockenstress für die Reben, wegen ausbleibendem Regen bzw. dem fehlenden Schmelzwasser. Als der Regen dann Ende Frühling endlich einsetzte, tat er dies mit einer solchen Kontinuität und bei viel zu tiefen Durchschnittstemperaturen, wodurch sich die Blüte der Reben rund einen Monat nach hinten verschob. Immerhin wurde das Südtirol, im Gegensatz zu anderen Regionen Italiens, von schweren Überschwemmungen verschont. Ein Kollateralschaden entstand jedoch durch die Regenfälle. So musste früh über die Grünernte der Trauben (die sogenannte Ertragsregulierung) entschieden werden, da der Regen zu ungleichem Traubenwachstum und grösseren Beeren geführt hatte, was eine Ertragsregulierung entsprechend erschwerte.

Der Sommerbeginn brachte mit abwechselnd warmen Tagen und kühlen Nächten (diese Temperaturwechsel sind entscheidend für eine gleichmässige phenolische Reife, gute Säurewerte und langsam ansteigende Zuckerwerte) die langersehnte Verschnaufpause für die Winzerinnen und Winzern. Doch die nächste grosse Herausforderung liess nicht lange auf sich warten!

Drei Hitzewellen im Juli bzw. August und der dadurch hervorgerufene Trockenstress führte zu einem Wachstumsstopp bei den Reben und eine Verzögerung der Traubenreifung. Ende August entspannte sich die Situation jedoch wieder und ein versöhnlicher Spätsommer mit vorbildlichen Tag- und Nachttemperaturunterschieden sowie ausreichend Regen setzte ein.

Ein Schockmoment im September - die späte Blüte sorgte für eine verzögerte Traubenreife und diese wiederum zu einer späteren Lese - waren die erneuten und heftigen Niederschläge, welche beim Traubengut zu hohem Infektions-, Pilz- und Krankheitsdruck führten. Eine besondere Herausforderung für biologisch und insbesondere biodynamisch produzierende Betriebe (da diese für den Pilzschutz nur Kontaktmittel verwenden, welche nach jedem grösseren Regenschauer neu aufgetragen werden müssen - im Gegensatz zu konventionell produzierenden Betrieben, welche systemisch wirkende Schutzmittel ausbringen können).

Diejenigen Weinbauern, welche zu diesem Zeitpunkt die Ernte der weissen Trauben sprichwörtlich bereits ins Trockene gebracht hatten, waren klar im Vorteil. Auch um die Hände und Arbeitskräfte für die Spritzungen und den Schutz des noch hängenden, roten Traubenguts zur Verfügung zu haben.

Wer hoch gepokert hatte und die Regenfälle über sich ergehen liess, konnte den goldenen Herbst im Oktober dazu nutzen, um die roten Trauben voll ausreifen zu lassen (Stichwort Tannin, Zuckergehalte und phenolische Reife). Wobei auch hier die Einschränkung zu machen ist, dass in einigen Regionen gegen Ende Oktober erneut starker Regen angesagt war, sodass sich das übliche Zeitfenster für die Traubenlese teilweise mehr als halbierte! Schlussendlich mussten noch die krankheitsbefallenen Beeren akribisch und von Hand im Rebberg oder auf dem Sortiertisch entfernt werden, damit das Potential für durchaus auch hervorragende Rotweine realisiert werden konnte.

Alte und neue Kellermeister fachsimpeln vor grossen Eichenfässern mit Weinvogel über die Weinqualitäten

Die Kellermeister haben alle Hände voll zu tun

In der Regel ist es ja etwas komplizierter, als es zu Beginn scheint. Dem ist auch hier so: Wer im Rebberg viel Aufwand getrieben hat und jeweils sowohl bei der Ertragsreduktion, der Laubarbeit als auch den Spritzungen richtig lag und wem beim Festlegen des Erntezeitpunkts noch das vielzitierte Quäntchen Glück zur Hilfe kam, konnte - nachdem er, mit viel Zusatzaufwand und von Hand (und mit Inkaufnahme der entsprechenden Kostenintensität) das pilzbefallene oder anderweitig beschädigte Traubenmaterial aussortiert hatte - grossartige Trauben in den Keller bringen.

Wer mit seinen Entscheidungen hingegen nicht durchwegs richtig lag, muss wohl Abstriche bei der Gesamtqualität und insbesondere bei den Öchslegraden (d.h. den Zuckerwerten), der allenfalls fehlenden phenolischen Reife (Aromatik) oder beim Gerbstoffe und den Tanninen in Kauf nehmen. Hier werden die Kellermeister gefordert sein, um mit Maischestandzeiten, der zusätzlichen Konzentration der Weine und allen weiteren zur Verfügung stehenden Zaubertricks das Maximum aus dem Traubengut in die Flaschen zu bringen.

Insgesamt dürften für den Jahrgang 2023 frische, fruchtbetonte, eher schlanke (Weine mit weniger Alkohol) und filigrane, auf der Säure basierte Weissweine entstehen.

Auch beim Rotwein liegen die Zuckergrade häufig tiefer und die Säurewerte höher. So dürfte in der Blauburgunder im Jahrgang 2023 eine einmalige Eleganz aufweisen, falls die Erträge entsprechend reduziert wurden. Erstaunlicherweise blieben auch die Lagreintrauben ob der Wetterkapriolen unbeeindruckt und zeigten ebenfalls hoffnungsvolle Tendenzen. Dass diese im 2023 vielleicht etwas weniger wuchtig ausfallen, könnte für einmal ein Vorteil sein.

Im Grossen und Ganzen steht fest, dass die Qualitätsspanne des Jahrgangs 2023 ungewöhnlich gross sein dürfte. Es werden viele einzigartige Jahrgangsweine entstehen, welche es sich lohnt, im Keller und im Glas zu haben. Hier ist jedoch entscheidend, dass keine blinden Kaufentscheidungen getroffen werden, sondern die Weine vorgängig an (unseren) Hausmessen verkostet werden. Eine andere Möglichkeit ist, sich auf die Nase und den Gaumen unseres Weinakademikers zu verlassen und den Empfehlungen auf unserer Webseite in den entsprechenden Newslettern zu folgen (hier geht’s zur Anmeldung für den Newsletter).