Insiderinformationen zur Qualität des Weinjahrgangs 2022 im Südtirol
Ein vielzitiertes Bonmot in der Weinbrache besagt, dass die Qualität der Weine im Rebberg entsteht. Dies gilt umso mehr aufgrund des aktuellen Trends, Weine möglichst terroirnah und naturbelassen zu produzieren, mit Naturhefen, ungefiltert, ungeschwefelt, ohne Zusätze. Wir haben Insiderinformationen zum aktuellen Jahrgang 2022 gesammelt und uns mit unserer Freundin, Winzerin und Weinakademikerin Carmen Augschöll vom Röckhof über die Qualität des Traubenguts im Südtirol unterhalten.
Von Christof Zeller DipWSET, Weinakademiker
Welche Faktoren beeinflussen die Traubenqualität?
Der Traubenanbau ist, neben dem Kellermanagement, ebenfalls eine Wissenschaft für sich: Man streitet in der Winzerszene lustvoll über Details, Glaubenssätze und Spezialfälle. Grob zusammengefasst, gilt es als einigermassen erwiesen, dass die folgenden Faktoren einen Einfluss auf die Traubenqualität haben: Zentral für das Wachstum aller Pflanzen und folglich auch für die Reben und Trauben sind das Wetter und die Temperaturen während des gesamten Jahres, speziell während der Blüte, der Wachstumsperiode der Traubenbeeren und zum Erntezeitpunkt.
War der Frühling eher kühl und die Triebe oder Blüten waren wegen des Spätfrosts gefroren, so besteht die Gefahr, dass die Traubenbeeren «verrieseln», d.h. dass am Traubenbündel nur einzelne Beeren wachsen, anstelle der üblichen, mit Trauben prall gefüllten Rispen.
Auch während der Wachstumsperiode der Traubenbeeren lauern überall Gefahren: In dieser Phase benötigt die Rebe ausreichend Wasser und Sonne, damit sowohl das vegetative Wachstum (d.h. der Blätter und Triebe) als auch das Traubenwachstum nicht beeinträchtigt werden. Zuviel Wasser bzw. Regen erhöht jedoch wiederum das Risiko von Pilzkrankheiten (vor allem der echte und falsche Mehltau), was sich negativ auf die Traubenqualität auswirkt und je nach Bewirtschaftungsart (konventionell, biologisch oder biodynamisch) mit dem Einsatz von unterschiedlichen Spritzmitteln verhindert werden muss. Es scheint auf den ersten Blick völlig logisch, dass viel Sonne und warme Temperaturen gutes Traubenmaterial ergeben, doch auch hier ist nicht alles so einfach wie es scheint! Zuviel Sonne kann dazu führen, dass die Trauben Sonnenbrand kriegen (das ist kein Witz!) und deshalb Fehlaromen und Bitternoten entwickeln. Es ist in dieser Phase wichtig, die sogenannte «Laubarbeit» nicht zu vernachlässigen (damit ist das geeignete Herausschneiden von Blättern gemeint, um ein ideales Verhältnis zwischen Besonnung und Schatten für die Trauben zu gewährleisten). Zuviel Hitze kann wiederum zu einem Wachstumsstopp führen, sodass sich weder Rebe noch Trauben weiterentwickeln. Und zu guter Letzt kommt es in dieser Phase auf die Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht an. Nur wenn sich warme Tag und kühle Nächte abwechseln, können die Trauben die gewünschte Reife erreichen und trotzdem eine gute Säure beibehalten.
Schlaflose Nächte haben die Winzer/innen jeweils zum Erntezeitpunkt, in welchem sie den perfekten Moment erwischen müssen, um gesundes und vollreifes Traubenmaterial zu ernten. Der Zuckergehalt in den Trauben, welcher – je nach Land – in Oechslegrad, Baumé oder Brix angegeben wird, entscheidet über die Höhe des Alkohols im zukünftigen Wein. Der derzeitige Konsumentengeschmack wünscht sich hier ungefähr 12,5 Volumenprozent für Weissweine und 13,5 Volumenprozent für Rotweine. Ebenso wichtig ist in diesem Zeitpunkt die perfekte phenolische Reife (d.h. die Traube schmeckt nach vollreifen Früchten und weist keine grünen, grasigen Aromen mehr auf) und die Reife der Tannine (diese ist erreicht, wenn die Traubenhäute und -kerne nicht mehr bitter schmecken). Doch hier kommt die Krux: Je länger man auf die Reife und den gewünschten Zuckergehalt warten muss, desto tiefer werden die Säurewerte in den Trauben, was schlussendlich zu einem unerwünschten pH-Wert und unharmonischen Weinen führen kann (der Zusammenhang ist eigentlich etwas komplexer, das Problem bleibt jedoch dasselbe). Als wäre diese Lotterie nicht bereits kompliziert genug, um den Winzer/innen Albträume zu bescheren, muss in dieser Phase auch noch das Wetter mitspielen: Wenn es vor der Ernte regnet, werden die Weine verwässert, platzen die Traubenbeeren auf und faulen oder die Kirschessigfliege kann die Traubenbeeren zerstören (was, wie der Name bereits sagt, zu Essigaromen im fertigen Wein führt)…
Und was heisst das nun für den Weinjahrgang 2022 im Südtirol?
Obwohl das bemühte Bonmot besagt, dass die Qualität der Weine im Rebberg entsteht, kann während der Gärung und dem Ausbau im Keller noch einiges geschehen. Ob Sie deshalb bereits jetzt den monatlichen Sparbeitrag auf Ihrem Weinkonto erhöhen sollten, um im kommenden Jahr bei den Südtiroler Weinen so richtig zuschlagen zu können, ist noch nicht ganz sicher – aber es sieht derzeit ganz danach aus!
Hinsichtlich des Wetters und der Temperaturen hatten wir im Südtirol ein beinahe perfektes Jahr 2022: Kein Spätfrost während dem Austrieb und der Blüte, kein Hagel in der Wachstumsphase und glücklicherweise wurden wir auch von den schlimmsten Trockenheitsperioden und der Wasserknappheit, wie sie in anderen Regionen Italiens auftragt (in der Po-Ebene vertrocknete beispielsweise die gesamte Reisernte) verschont. Zwar waren die Temperaturen während einiger Zeit so hoch, dass ein Wachstumsstopp befürchtet wurde, dieser trat dann jedoch glücklicherweise nicht oder nur sehr kurz ein. Wer gute Laubarbeit leistete, erhielt perfekt reifes Traubenmaterial, ohne Sonnenbrand und sogar einige zusätzliche freie Tage.
Der regenarme Sommer und Herbst sorgten dafür, dass weder der echte oder falsche Mehltau, noch andere Pilzkrankheiten auftraten und aussergewöhnlich wenig gespritzt werden musste. Trotzdem der Hitze liegt ein grosser Vorteil dieses Jahrgangs darin, dass sich die Zahl der Tropennächte in Grenzen hielt und auf die warmen Tage weitgehend kühle Nächte folgten, damit die gewünschten Säurewerte in den Trauben erhalten werden konnten.
Auch während der Ernteperiode spielte das Wetter mit und doch gab es ein kurzes Schreckmoment: Plötzlich konnte man beinahe zuschauen, wie die Zuckerwerte in den Trauben nach oben schossen (Sie erinnern sich an die gewünschten Alkoholgrade in Rot- und Weissweinen) und aufgrund von einigen warmen Nächten die Säure abzusacken drohte. Doch auch hier konnten die Winzer reagieren, indem mit der diesjährigen Lese rund zehn bis 14 Tage früher als üblich begonnen wurde. So waren Mitte September die Trauben für die Weissweine bereits im Keller und Mitte Oktober konnten auch die gepressten Rotweintrauben bereits in die Gärbottiche und Fässer gefüllt werden.
Fazit: Diese Rot- und Weissweinqualitäten erwarten wir für den Jahrgang 2022
Sowohl für die Rot- als auch für die Weissweine wurde in diesem Jahr perfektes Traubenmaterial gelesen (man musste praktisch keine Beeren entfernen oder Trauben aussortieren). Durch die hohen Temperaturen und den dadurch hervorgerufenen Wasserstress sind zwar viele Trauben gewachsen, die Traubenbeeren sind jedoch kleiner, was – zusammen mit der perfekten phenolischen und tanninbezogenen Reife – zu hocharomatischen, dichten und körperreichen Weinen führen dürfte. Die Winzer, welche gut aufgepasst haben, konnten deshalb sowohl für die Weissweine gute Trauben ernten und dürfen, trotz der Reife, mit guten pH-Werten und einer angemessenen Säurestruktur rechnen. Bei den Rotweinen erwarten wir reiffruchtige, aromatisch intensive, volle und sehr trinkfreudige Preziosen, welche – sofern die Säurewerte stimmen – ein grosses Reifepotential aufweisen dürften.
Übrigens: Ein schöner Nebeneffekt der Traubenernte ist, dass die Barriques, Betoneier und grossen Holzfässer in den Kellern für die neuen Weine gebraucht werden, weshalb viele Weine des Jahrgangs 2021 nun abgefüllt sind und für Sie bereitstehen. Stossen Sie mit uns auf den hoffnungsvollen Weinjahrgang 2022 an. Ideen dafür finden sich auf unserer Webseite.