Gesundheit und Wein: Die Konsumempfehlung der Weltgesundheitsorganisation auf dem Prüfstand

Wein ist mehr als Alkohol

Unbekümmert und lustvoll geniesse ich regelmässig die unendliche Vielfalt der Weinwelt und suhle mich in der Gewissheit des Französischen Paradoxons, wonach – bei moderatem Konsum – Wein gut für das Herz ist und meiner Gesundheit insgesamt nicht allzu abträglich sein soll.

Und im nächsten Moment werde ich von einem Aufschrei der versammelten Weinwelt aus meinen vinophilen Träumen gerissen: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) habe verlauten lassen, dass Alkohol der Gesundheit bereits in geringen Mengen schaden würde und mit Krebsrisiken in Verbindung stehe.

Mittlerweile findet man im Internet, in einschlägigen Publikationen oder auch in persönlichen Gesprächen ein regelrechtes Geflecht aus Behauptungen und Vorwürfen zu diesem hochemotionalen Thema. Ein Spannungsfeld zwischen der mutmasslichen politischen Einflussnahme auf die Unabhängigkeit der Wissenschaft, einem Angriff auf die persönliche Freiheit und der existentiellen Bedrohung eines ganzen Wirtschaftszweigs.

Angesichts dieser explosiven Mischung ist der Versuch einer nüchternen Einordnung dringend angezeigt. Für Ungeduldige Leserinnen und Leser: Am Ende jeden Abschnitts findet ihr ein Fazit und am Ende des Artikels eine abschliessende Gesamtbewertung.

Von Christof Zeller DipWSET, Weinakademiker

P.S. Die nachfolgende Betrachtung fokussiert auf das Getränk Wein. Wein enthält Alkohol und Alkohol kann gesundheitsschädigend sein, abhängig machen und gefährdet in besonderem Mass vulnerable Populationen. Ein verantwortungsbewusster Umgang mit Wein ist deshalb unerlässlich.

Alkohol: Ein Paradigmenwechsel bei der WHO

Die ab dem Jahr 2008 gültige Empfehlung der WHO zu Alkohol erachtete einen moderaten Konsum als unbedenklich. Als moderater Konsum empfahl die WHO, dass Frauen täglich nicht mehr als 20 Gramm und Männer nicht mehr als 30 Gramm Alkohol konsumieren. Gemäss der – zum Verfassungszeitpunkt dieses Beitrags übrigens noch geltenden – Empfehlung der deutschen Hauptstelle für Suchtfragen, welche sich mit denjenigen der meisten umliegenden Ländern deckt, entspricht dies täglich zwei, resp. drei Gläsern Wein und wird als risikoarmer Alkoholkonsum bezeichnet. Als Grundlage dieser Empfehlungen dienten u.a. Studien, welche eine sogenannte J-Kurve zwischen Alkoholkonsum und Herzleiden aufzeigen. Diese besagt, dass der Konsum von geringen Mengen an Alkohol das Gesundheitsrisiko gegenüber abstinent lebenden Menschen sogar reduziere.

Gross war deshalb der Aufschrei in der Weinwelt, als die WHO im Jahr 2023 in einer der ältesten und renommiertesten medizinischen Fachzeitschriften der Welt bzw. deren Unterpublikation, dem «The Lancet Global Health» Ihre neuen Konsumempfehlungen veröffentlichte: Es gebe keine Grenze für einen gesundheitlich unbedenklichen Alkoholkonsum. Laut einer breit angelegten Studie sei festgestellt worden, dass der Alkoholkonsum weltweit zu rund 3 Millionen Todesfällen beigetragen habe und als Hauptursache oder zumindest als relevante Nebenursache für diverse Erkrankungen, Gesundheitsprobleme und Verletzungsrisiken identifiziert werden konnte. Ein Zusammenhang sei insbesondere herstellbar zu Alkoholabhängigkeit, Leberzirrhose, einigen Krebsarten, Geschlechtskrankheiten und psychischen Störungen.

Immerhin hielt die WHO in den Ausführungen zur neuen Empfehlung auch fest, dass es belastbare Studien gibt, welche den mit der sogenannten J-Kurve beschriebenen Gesundheitseffekt durch moderaten Alkoholkonsum nachweisen würden. Diese Effekte gelten für bestimmte Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ-2-Diabetes, insbesondere bei Menschen im mittleren und höheren Alter.

In einer Gesamtabwägung stellt die WHO jedoch klar, dass in keiner Studie nachgewiesen werden konnte, dass neben der Schutzwirkung durch den moderaten Alkoholkonsum auch das Risiko für bestimmte Krebsarten verringert würde bzw. dieses Risiko nicht steige oder der allgemeine Gesundheitszustand sich nicht verschlechtere. Daher kann keine sichere Menge an Alkoholkonsum in Bezug auf Krebs oder allgemeine Gesundheit definiert werden, weshalb ein Konsumverzicht zu empfehlen.

Das Fazit der WHO: Um ein sicheres Mass an Alkoholkonsum zu bestimmen, wären wissenschaftliche Belege erforderlich, die zeigen, dass bei diesem Konsumniveau kein erhöhtes Risiko für Krankheiten oder Verletzungen bestehen würde.

Quelle: Global status report on alcohol and health 2018, WHO

Eine Einordnung: Die Empfehlungen der WHO im Gesamtkontext

Die von der WHO schlussendlich in Grossbuchstaben verbreitete Empfehlung des Konsumverzichts scheint etwas speziell, namentlich aufgrund der offensichtlich vorhandenen und auch von der WHO anerkannten, anderslautenden Studienergebnissen. Gibt es möglicherweise neben den gesundheitlichen Implikationen noch andere Gründe, welche zu dieser - doch sehr apodiktischen - Empfehlungen geführt haben?

Um diese Frage zu beantworten, muss geklärt werden, welche wissenschaftlich neuen Forschungsergebnisse zur Abkehr von der 2008 formulierten Konsumempfehlung geführt haben und ob die dabei abgeleiteten Empfehlungen mit den Forschungsergebnissen ausreichend korrelieren. Sollte eine der beiden Bedingungen nicht erfüllt sein, stellt sich die Frage nach den weiteren, möglichen Beweggründen der WHO für die aktuelle Konsumverzichtsempfehlung. Bevor wir uns mit den Studieninhalten der WHO auseinandersetzen, scheint der Hinweis wichtig, dass die WHO-Empfehlungen den Alkoholkonsum als Ganzes betreffen und keine Differenzierung nach konsumiertem Getränk vornimmt. Es werden somit auch keine spezifischen Aussagen zu den Konsumfolgen von Wein gemacht. Der Konsumanteil von Wein am gesamten Alkoholkonsum beträgt in der Schweiz rund 40 %, in Deutschland ca. 20 %. Rund 30 % des global konsumierten Alkohols entfällt auf Getränke, welche ohne staatlicher Kontrolle hergestellt wurden.

Die Empfehlung des Alkoholkonsumverzichts der WHO basieren auf einer umfassenden Analyse aller möglichen, direkt mit Alkohol in Zusammenhang stehenden Erkrankungen, indirekt durch Alkohol möglicherweise negativ beeinflussten Erkrankungen und auf allen nicht durch Erkrankungen hervorgerufenen Gesundheitsschädigungen, u.a. alle Verhaltensweisen, die durch Alkoholkonsum mit einem höheren Verletzungs- oder Todesfallrisiko in Verbindung stehen (zu den durch Alkohol hervorgerufenen Todesfällen werden auch die mittelbaren Verhaltensweise bzw. leichtfertiges Verhalten wie kein Schutz bei Geschlechtsverkehr und deshalb erhöhte HIV-/AIDS-Ansteckungen und auch das generelle Eingehen von grösseren Risiken gezählt).

Unbestritten scheint die Feststellung der WHO, dass Alkoholkonsum einen negativen Effekt auf rund sieben Krebsarten haben kann.

Die Schätzungen der WHO zu den durch Alkohol mitbeeinflussten, jährlich Todesfällen sowie den mit Alkoholkonsum in Zusammenhang stehenden, globalen Krankheits- und Verletzungsbelastungen setzten sich wie folgt zusammen: Im Jahr 2016 können schätzungsweise 0.9 Mio. Todesfälle auf Verletzungen, welche im Kontext mit Alkoholkonsum entstanden sind, zurückgeführt werden. Dazu zählen Verkehrsunfälle, Suizide, zwischenmenschliche Gewalt und Stürze.

Eine weitere Schätzung geht davon aus, dass der globale Verlust von Lebenserwartung bzw. von beschwerdefreien Lebensjahren durch Alkoholkonsum im Jahr 2016, um rund 50 Mio. Jahre reduziert worden ist.

Von diesen Folgen des Alkoholkonsums (insb. Todesfälle) besonders betroffen, sind die Gruppe der 20 – 39 Jährigen, danach nehmen die negativen Folgen von moderatem Alkoholkonsum laut WHO signifikant ab. Ebenso sind sozial benachteiligte und vulnerable Bevölkerungsgruppen überproportional von den erhöhten, alkoholbedingten Todesfallraten und Krankheitsfolgen betroffen. Entsprechend ist der Einfluss von Alkoholkonsum auf die Gesundheit auch vom sozioökonomischen Status abhängig, wobei Personen mit niedrigerem sozioökonomischen Status überproportional von den schädlichen Folgen von Alkoholkonsum betroffen sind.

Ob sich die Unterschiede auch aus dem Konsum der jeweiligen Getränkeart (Wein, Schnaps, Bier etc.) ergeben, wurde nicht untersucht. Einschlägige Faktoren sind vor allem das Konsumvolumen, der Konsumkontext, der Zugang zu hochwertiger Gesundheitsversorgung und die Kumulierung von Risikofaktoren, die ähnliche Krankheiten begünstigen. Z.B. Rauchen, Fettleibigkeit und Bewegungsmangel.

Demgegenüber stehen die positiven, gesundheitlichen Folgen, des Alkoholkonsums (moderater Konsum): Das Risiko für Diabetes mellitus sinkt. Dadurch werden jährlich 25’000 Todesfälle und die Lebenserwartung bzw. die Anzahl von beschwerdefreien Lebensjahren um 1 Mio. erhöht. Ebenso konnte ein positiver Effekt auf ischämische Schlaganfälle festgestellt werden, wodurch weltweit 33’000 Todesfälle verhindert und die Lebenserwartung bzw. die Anzahl von beschwerdefreien Lebensjahren um eine weitere Million erhöht worden sind. Ebenso wurde ein leicht positiver Effekt bei rheumatoider Arthritis festgestellt – sowohl bei erkrankten Patienten als auch in Bezug auf das Risiko, daran zu erkranken. Der letztgenannte Effekt scheint jedoch ein komplexer zu sein.

Schlussendlich zeigen zahlreiche Studien, dass bei geringem bis moderatem Alkoholkonsum (insbesondere Rotwein) das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sinkt und sogar die Risiken für einen frühzeitigen Tod reduziert werden können Die aufgezählten Vorteile scheinen laut dieser Studien jedoch auf Erwachsene über 40 Jahre beschränkt zu sein. Bei jüngeren Menschen wurde kein solcher Effekt gemessen.

Das Fazit einer gesamtheitlichen Betrachtung: Nach wie vor – und darauf weist auch die WHO fairerweise hin - bestehen keine Studien zur Abwägung, ob die nachweislichen, gesundheitlichen Vorteile von Alkoholkonsum in einem proportionalen Verhältnis zu den Nachteilen stehen oder diese allenfalls sogar überwiegen. Ausserdem treffen die schädlichen Auswirkungen von moderatem Alkoholkonsum überproportional stark spezifische Bevölkerungsgruppen. Das Risiko reduziert sich signifikant, wenn man Teil einer anderen Population ist.

Insgesamt scheinen die absoluten Risiken eines moderaten Alkoholkonsums also sehr gering. Angesichts dieser Erkenntnis wird hinter vorgehaltener Hand deshalb der Verdacht geäussert, die Studien auf welche sich die WHO stützt sowie die Empfehlung des Konsumverzichts an sich, seien von einer politisch motivierten Abstinenzbewegung finanziert bzw. auf mehreren Ebenen beeinflusst worden (zum Ganzen, in englischer Sprache: https://www.winebusiness.com/wbm/article/284944).

Weinkonsum: Der Versuch einer ganzheitlichen Perspektive

Wie bereits erwähnt, differenziert die Empfehlung der WHO, auf den Konsum von Alkohol zu verzichten, nicht nach Getränk. Neben den Folgen eines moderaten Alkoholkonsums sind deshalb zusätzlich die weinspezifischen Gesundheitsvorteile zu berücksichtigen: So weisen Studien darauf hin, dass Polyphenole (Tannin und Farbstoff im Rotwein) einen positiven Effekt auf die Blutgefässe und eine krebshemmende Wirkung nach der Verstoffwechselung durch Darmbakterien haben. Ebenso würden bestimmte Formen von Antioxidantien dafür sorgen, dass Zellen länger leben, die Konzentration am schützenden HDL-Cholesterin erhöht und die Oxidation zu LDL-Cholesterin verringert wird.

Die Empfehlung der WHO, auf den Konsum von Alkohol zu verzichten, ist insofern nachvollziehbar, da ihre Aufgabe ist «die Verwirklichung des bestmöglichen Gesundheitsniveaus bei allen Menschen zu verbessern». Entsprechend reiht sich diese Empfehlung in den gesellschaftlichen Trend ein, wonach gesunde Verhaltensweisen politisch gefördert werden sollen: So ist es am besten nicht zu rauchen, körperliche Bewegung in den Alltag zu integrieren und durch eine gesunde Ernährung Übergewicht zu vermeiden.

Und betrachtet man das globale Studiendesign, die jeweiligen Spezifikationen sowie die sozioökonomischen Vorbehalte, kann ohne schlechtes Gewissen festgehalten werden: Für Sie als Kundinnen und Kunden von Weinvogel dürfte der Zugewinn an Lebensqualität durch gelegentliches Trinken höher eingeschätzt werden können als die potenziell negativen Gesundheitsfolgen.