Wie eine Weindegustation zu einem länderübergreifenden Eklat führt

Menschen bewerten Wein und Menschen

Wenn Menschen zusammenkommen werden Gerüchte verbreitet, wird getratscht und gefrotzelt; das mag man verurteilen oder bestreiten und trotzdem bleibt es so.

Wieso also sollte es in der Weinwelt anders sein? Ist es nicht - schon gar nicht, wenn bei einer Zusammenkunft von Sommeliers und Weinexpert/innen Weine konsumiert oder verkostet werden, was die Regel und nicht die Ausnahme ist. Da wird gemunkelt, dass ein/e Winzer/in - in der Hoffnung auf eine bessere Bewertung der Weine - die Verkostungsexpert/innen zu einem Abendessen in einem Sternerestaurant eingeladen hat. Das Gerücht, dass einige Weinkritiker an den Weingütern beteiligt seien, deren Weine sie bewerten, hält sich genauso hartnäckig wie der Glaube, dass bei Blinddegustationen versucht wird, die eigenen Weine zu erkennen und besser zu bewerten.

Diese Gerüchte mögen zutreffen oder nicht, sie erblassen jedoch im Angesicht von einem der - wohlgemerkt ungewollten - grössten Erdbeben in der Weingeschichte: Dem Judgement of Paris von 1976.

Von Christof Zeller DipWSET, Weinakademiker

Judgement of Paris

Judgement of Paris - ganz Frankreich gegen Kalifornien

Ohne böse Hintergedanken organisierte Steven Spurrier, britischer Weinautor und Weinhändler, im Mai 1976 in Paris eine Blindverkostung verschiedener Weiss- und Rotweine. Dass es sich dabei mitunter um die besten Weine aus dem Burgund und Bordeaux sowie auf der Gegenseite um die besten Weine aus Kalifornien handelte, wusste die grösstenteils mit französischen Verkostern besetzte, hochkarätige Jury nicht.

Der Schock sass tief, als die so populären und mit Höchstnoten bewerteten Weine aus Frankreich sich in der Blinddegustation nicht gegen die noch eher unbekannten kalifornischen Gewächse durchsetzen konnten! Die Juroren, u.a. Odette Kahn, Herausgeberin der Revue du Vin de France, Christian Vanneque, Sommelier des Sterne-Restaurants «La Tour d’Argent», Aubert de Villaine, Teilhaber der «Domaine de la Romanée-Conti» oder Pierre Tari, Eigentümer des «Château Giscours» mussten mit ansehen, wie Kalifornien einen klaren Sieg nach Hause trug (so wurde dies zumindest im Time Magazine berichtet - die französische Presse weigerte sich lange, über das Ergebnis zu berichten)!

Nach dem ersten Schock und der Verbannung von Steven Spurrier von allen Weinveranstaltungen in Frankreich (als Strafe für den Imageschaden französischer Weine) einigte man sich darauf, dass die Weine aus der Neuen Welt sehr schnell eine sehr gute Trinkqualität erreichten, jedoch viel schneller reiften und bald schon stumpf und ungeniessbar würden. Diese Erklärung hielt immerhin für die kommenden 30 Jahre, bis in London und im Napa Valley eine erneute Blindverkostung derselben Weine und Jahrgänge stattfand, welche unter dem Strich zum gleichen Ergebnis führte.

Mit der Verbreitung des Resultats (welches mit «Bottle Shock» ein mehr oder weniger wahrheitsgetreues, filmisches Denkmal erhielt) begann auch ein bis heute anhaltender Hype kalifornischer Weine und die Vorherrschaft Frankreichs war zumindest in Bezug auf die Bordeaux-Blend Weine gebrochen - wie im Übrigen auch das als Rückgrat Frankreichs dienende weinhistorische Kulturerbe einer ganzen Nation.

Ausschnitt einer Weinverkostung an einem Weinwettbewerb

Warum gibt es Blinddegustationen?

Berliner Wein Trophy, Blauburgundertage Südtirol, Concours Mondial de Bruxelles, Expovina Trophy, Gambero Rosso, Vinum, Falstaff; die Liste liesse sich beliebig erweitern. Weinwettbewerbe und Vergleichsdegustationen - stilecht immer mit den entsprechend glänzenden (und kostenpflichtigen) Medaillen und Auszeichnungen - gibt es wie Sand am Meer. Doch helfen diese Wettbewerbe wirklich den Weingeniesser/innen?

Ganz grundsätzlich ja, dienen sowohl horizontale Verkostungen (unterschiedliche Weine in demselben Jahrgang) als auch vertikale Verkostungen (dieselben Weine in unterschiedlichen Jahrgängen) doch der Qualitätskontrolle und daraus abgeleitet, der Preisfindung (heute bedienen sich die meisten Weinregionen, wie auch die meisten Weingüter eine sogenannte Qualitätspyramide, in welcher die Weine eingereiht und abgestuft bepreist werden).

Ebenfalls ist es sinnvoll, dass diese Degustationen blind durchgeführt werden, um zu verhindern, dass keine anderen Faktoren als die sensorische Weinqualität für das Urteil der Weinexpert/innen ausschlaggebend sind (typische Vorurteile zu Regionen, Winzern oder Rebsorten sollen nicht in die Bewertung einfliessen etc.).

Wir können also festhalten: Damit der Önologe im Keller die richtigen Entscheidungen treffen kann, um höchste Qualität im Ländervergleich zu produzieren, um als Weingut eine faire Preispolitik zu gewährleisten oder um professionellen Sommeliers eine qualitativ hochstehende Sortimentszusammenstellung zu ermöglichen, machen Vergleichsdegustationen Sinn. Ob diese Vielzahl von Weinwettbewerben den Geniesser/innen beim Weineinkauf hilft? Es kommt darauf an!

Wein ist - zum Glück - immer auch Emotionen, ist Ästhetik, Schönheit, Zugehörigkeitsgefühl und Lifestyle. Sind bei einem Produkt solche Dimensionen im Spiel, ist das (Luxusgüter-)Marketing nicht weit. Renommierte Weinwettbewerbe können für die Veranstalter/innen äusserst lukrativ sein (bei gewissen Wettbewerben müssen die Winzer/innen gratis rund 200 Flaschen pro Wein einreichen, um an der Verkostung teilnehmen zu dürfen!). Mit glitzernden Medaillen verzierte Weinetiketten helfen dem Weinhandel beim (höherpreisigen) Verkauf der Weine. Die Idee, einen eigenen Weinwettbewerb ins Leben zu rufen, ist deshalb durchaus nachvollziehbar…

Damit einem die vermeintlich verdiente Medaille nicht bitter auf der Zunge liegt oder im Hals stecken bleibt, hilft es, sich beim Weineinkauf einige Fragen zu stellen: Handelt es sich um einen aktuellen und angesehenen Wettbewerb, stimmt der Jahrgang mit der Prämierung überein, folgt die Blindverkostung einem approbierten Verfahren und wird durch eine ausgewogene Jury geführt, welche zum Grossteil aus Weinexpert/innen, deren Kompetenz nachgeprüft werden kann, besteht? Bilden die verkosteten Weine einen repräsentativen Querschnitt durch die zur Prüfung gestellte Weinthematik bzw. das Verkostungsgebiet (häufig machen die angesehensten Weingüter nicht mehr an Wettbewerben mit, um ihren guten Ruf nicht zu gefährden) und ist die Unabhängigkeit der Verkostung gewährleistet (keine Finanzierung durch individuelle Weinproduzenten oder -gebiete etc.)?

Machen Sie die Probe aufs Exempel: Eine eigene Blindverkostung im Freundeskreis ist unglaublich unterhaltsam, bereichernd und abendfüllend (spätestens, wenn nach dem zweiten Glas Gerüchte ausgetauscht, getratscht und gefrotzelt wird)! Wie wäre es mit einem blinden Vergleich von Lagrein-Weinen aus unterschiedlichen Preisklassen? Lassen Sie z.B. den Lagrein Urban Riserva 2020 der Cantina Tramin gegen den Lagrein Klosteranger 2018 der Kellerei Muri-Gries antreten. Oder verkosten Sie den Gewinnerwein der Blauburgundertage, den Trattman Pinot Noir Riserva 2020 der Kellerei Girlan  gegen andere Pinot Noirs aus Ihrem eigenen Weinkeller - vielleicht eine Neuauflage des Judgement of Paris in Ihrem Wohnzimmer (keine Angst, dieser Wettbewerb erfüllt die oben aufgelisteten Kriterien und wurde nach dem strengen Modus Laimburg durchgeführt)?!