Was ist ein Weinjahrgang, welche gesetzlichen Vorschriften gelten und die Bedeutung der Abkürzung NV
In guten Jahren das wichtigste Verkaufsargument und in schlechten Jahren wortreich zur irrelevanten Kenngrösse degradiert. Wirkt sich der Jahrgang eines Weines entscheidend auf die Qualität aus oder dient das wortreiche Differenzierungskriterium insbesondere der vermeintlichen Bestätigung besonderer Fachkompetenz bei selbsternannten Weinexpertinnen und -experten?
Handelt es sich geradezu um das entscheidende Merkmal, welches sehr gute Weine von ausserordentlichen unterscheidet? Und falls ja, welche Faktoren beeinflussen die Jahrgangsqualität der Weine?
Bereits die scheinbar einfache Frage, wie ein Weinjahrgang definiert ist, zeigt die Komplexität der Thematik auf: Während auf der Nordhalbkugel grundsätzlich dasjenige Jahr als Weinjahrgang auf die Etikette gedruckt wird, in welchem die Trauben für den Wein gewachsen sind und geerntet wurden, ist in der südlichen Hemisphäre der Erntezeitpunkt ausschlaggebend für die Bestimmung des Weinjahrgangs. Ein Grossteil der Wachstumsphase der Trauben findet folglich in einem anderen Jahr statt als auf der Etikette angegeben. Da insbesondere die Traubenqualität stark von den Wetterbedingungen abhängt und zwischen Wein- und Traubenqualität ein signifikanter Zusammenhang besteht, kann die Datierung von Wein aus Australien oder Südamerika für die europäischen Weingeniesserinnen und -geniesser zu Verwirrung führen.
Gesetzlich müssen Weine mit Herkunftsangabe (DOC oder IGT) in den meisten Regionen der Welt zu mindestens 85% mit Trauben aus dem angegebenen Jahrgang bestehen. Fragen Sie bei Ihrem nächsten Weingutsbesuch die entsprechende Winzerin oder den Winzer, ob im aktuellen Jahr ein Anteil eines anderen Jahrgangs mitabgefüllt wurde. Bei Champagner gang und gäbe (dazu später mehr), schockiert bei Rot- und Weisswein umso mehr, dass in der EU bei Weinen ohne Herkunftsbezeichnung (d.h. ohne geographische Angabe) auf die Angabe eines Jahrgangs auf der Etikette verzichtet werden darf. Es handelt sich dabei um sog. Tafelwein und ist in Australien oder Amerika für Basisweine verbreitete Praxis.
NV steht für «Non Vintage», d.h. «kein Jahrgang». Dieser Begriff taucht vor allem im Zusammenhang mit Champagner auf. Viele der besten Champagner werden ohne Jahrgangsangabe produziert. Dabei wird dem Erzeugername auf dem Etikette der Begriff «Réserve» beigefügt. In Bezug auf Champagner weist dieser Begriff nicht auf eine ausserordentliche Qualität hin (wie dies bei Stillweinen üblich ist), sondern auf die Verwendung von vielen Weinen aus unterschiedlichen Jahrgängen. Ziel dieser Verschnitte ist eine Erhöhung der Komplexität, vor allem aber auch die Gewährleistung des Wiedererkennungswerts bei Geniesserinnen und Geniessern, die charakteristische Aromatik des jeweiligen Champagner-Hauses. Auch hier ist eine Trendumkehr zu beobachten: Immer mehr mittlere und kleinere Betriebe produzieren Winzer-Champagner mit Jahrgangsangabe. Offensichtlich scheint der Weinjahrgang doch irgendeinen Zusammenhang mit der Weinqualität aufzuweisen…
Von Christof Zeller DipWSET, Weinakademiker
Wieso ist ein guter Weinjahrgang nun hervorragend
Gesetzt der Fall, dass Jahrgang und Qualität bei Wein in einer Korrelation stehen, stellt sich als nächstes die Frage, welche Aspekte der Weinproduktion einen besonderen Einfluss auf die Weinqualität haben könnten.
Die einfachsten zwei Grundregeln, um die Jahrgangsqualität grob zu bestimmen: Hauptverantwortlich für die Weinqualität ist das Wetter während der Wachstums- und Reifeperiode der Weintrauben. Und je mehr Sonnenstunden für die Trauben, desto mehr Weinqualität für den Jahrgang.
Keine Regel ohne Ausnahme: Die Sonnenstunden sind nur ein Faktor, welcher die Qualität eines Weinjahrgangs bestimmen. Zwar sind Wetter, Sonne und Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht grundsätzlich immer zentral für die Traubenqualität. Entscheidend sind diese Faktoren jedoch vor allem während Austrieb und Blüte (kein Frost), der Wachstumsperiode der Traubenbeeren (extreme Hitze führt zu Wachstumsstopp, zu viel Sonne zu einem Sonnenbrand) und zum Erntezeitpunkt (phenolische Reife, Gerbstoffe und Tannine. Regen führt zu Pilz- und Schimmelbefall der Traubenbeeren und zu Qualitätseinbussen). Ganz zu schweigen von den Auswirkungen extremer Wetterereignissen wie Hagel, Waldbrände oder Überschwemmungen, die ganze Jahrgänge vernichten können – so geschehen beim Lagrein Riserva Taber 2019 der Kellerei Bozen, welcher vollständig dem Hagel zum Opfer fiel.
Expertinnen- und Expertenwissen: Im ersten Moment kontraintuitiv, haben auch die Böden einen wetterbedingten Einfluss auf die Jahrgangsqualität! Während auf durchlässigen, tiefen Böden (Schotter, Steine, Kies) auch in regenreichen Jahren gute Weinqualitäten erwartet werden können, reagieren kompakte und undurchlässige Böden (Lehm, Ton, kompakter Granit) bei zu viel Regen mit grossen Qualitätseinbussen. Gleich verhält es sich mit den angebauten Traubensorten. Je nach Zeitpunkt von Austrieb, Blüte, Beerenreife oder Dicke der Traubenhäute, können Sorten besser oder schlechter mit Sonne, Regen oder unterschiedlichen Temperaturen umgehen.
Bei besonders anspruchsvollen Jahrgängen kommt noch zwei weitere Faktor hinzu, welche nur indirekt mit dem Wetter zusammenhängen: Die Interventionen der Winzer/innen in Rebberg und Keller: Spritzdurchgänge zur Krankheitsbekämpfung, Zeitpunkt und Umfang der «Laubarbeit», Lesezeitpunkt und Erntemengen, um nur einige zu nennen. Im heutigen Weinkeller stehen bei Bedarf zusätzlich Chemiebaukasten und neueste Technologien für die Qualitätssteigerung bereit. Zuchthefen sorgen in regenreichen Jahren für ein fruchtiges Aromaprofil, Säurezugabe bei zu warmen Jahren gibt dem Wein Spannung, Umkehrosmose zur Reduktion des Alkoholgehalts macht Weine leichter, Tannine sorgen für mehr Struktur oder RTK («rektifiziertes Traubenkonzentrat») und Gummi arabicum geben mehr Volumen, ganz zu schweigen von den unterschiedlichen Filtrations- und Schönungsmöglichkeiten.
Spielt der Jahrgang wirklich immer eine grosse Rolle für die Weinqualität
Der heutige Ausbildungsstand der Winzer/innen, die ausgefeilte Kellertechnik und die Klimaerwärmung stellen sicher, dass praktisch keine wirklich schlechten Jahrgänge mehr produziert werden. So könnte man sich in die Aussage versteigen, dass der kausale Zusammenhang von Wetter, Klima und Weinqualität heute so nicht mehr besteht. Diese Aussage ist nicht gänzlich falsch! Insbesondere bei Masseproduzenten sowie bei jung getrunkenen Weinen dürfte der Jahrgang gegenüber der Hausstilistik der Weinproduzent/innen und der Rebsortentypizität eine untergeordnete Rolle spielen. Hier werden Alkoholgradationen, Säurewerte, Restzucker sowie Aromatik den aktuellen Marketingempfehlungen zu den jeweiligen Konsumregionen angepasst. Das Vorgehen findet vor allem in der neuen Welt Anwendung. Weine aus dem Südtirol sind glücklicherweise keine Massenprodukte!
Die Möglichkeiten, welche Kellertechnik und Chemiebaukasten heute bieten, sind ausserdem begrenzt, von vielen Geniesser/innen nicht erwünscht und mit Konsequenzen für die damit veränderten Weinen verbunden. So kann einerseits die fehlende Reife bei Phenolen, Tanninen und Gerbstoffen nur beschränkt kompensiert werden und andererseits gehen bei allzu euphorischem Einsatz von Zusatzstoffen (bei sogenannten, «gemachten Weinen»), die Harmonie, Spannung und Lebendigkeit verloren. Die Weine werden dadurch generisch, austauschbar und langweilig.
Besonders ins Gewicht fallen die qualitativen Jahrgangsunterschiede bei kleinen Qualitätsbetrieben mit Einzellagenweinen, bei reinsortigen Raritäten, bei Terroirwein und alterungsfähigen Weinen, welche eine unverkennbare Stilistik aufweisen und nicht geschönt werden (dürfen). Diese Weine weisen je nach Wetterbedingungen im jeweiligen Jahrgang, unterschiedliche Säure- und Tanningerüste, Extraktwerte und Phenolreifen auf, was sich entscheidend auf die Alterungs- und Reifefähigkeit und somit auch auf die gesamtheitliche Qualität und den Wert der Weine auswirkt.
Schliesslich haben Wettereinflüsse in Regionen wie dem Südtirol, welche durch die geographische Lage mit unvorhersehbaren, besonders wechselhaften Bedingungen umgehen müssen (Einflüsse der Ora - warme Winde vom Gardasee, aufgestauter Regen durch die hohen Bergflanken, welche das Südtirol einrahmen sowie der kühlen Fallwinde dieser Berge etc.), eine ganz besondere Bedeutung für die Jahrgangsqualitäten.
Ganz bestimmt scheinen Weinjahrgänge offensichtlich mehr als nur Zahlen auf einem Etikett zu sein. Im Weinjahrgang kumuliert das Ergebnis eines einzigartigen Zusammenspiels aus Wetter, Klima, Terroir, Traubensorte, menschlicher Kunstfertigkeit und Glück.
Wir lüften das Geheimnis der hervorragenden Weinjahrgänge mit einer Jahrgangstabelle für das Südtirol
Alles Wissen um Wetterbedingungen und Jahrgangsqualitäten nützt herzlich wenig, solange wir diese Kriterien nicht auf jede Weinregion und jeden Jahrgang von Interesse anwenden und diese analysieren. Zum Glück gibt es Weinkritiker/innen und Jahrgangstabellen, welche die Qualitäten in den unterschiedlichen Jahren schematisch abbilden oder uns, Experten, welche sich ausgiebig mit den jeweiligen Wachstumsbedingungen und den Folgen für die Weinqualität auseinandersetzen.
Historisch betrachtet – und bei unerschöpfliche finanzielle Ressourcen – wäre insbesondere der Bordeaux-Jahrgang 1784 interessant. Sogar der damalige Präsident der USA, Thomas Jefferson, importierte diese Weine nach Amerika. Ein weiterer Ausnahmejahrgang war das sog. Kometenjahr 1811, in welchem ein Komet besonders nahe an der Erde vorbeiflog (was in gewissen Weinkreisen mit der Überzeugung verbunden ist, dass diese Jahrgänge besonders hervorragend sind). Eine Flasche Château d’Yquem aus diesem Jahrgang kann im Weinkeller des Parkhotel Vitznau bewundert bzw. mit dem entsprechenden Kleingeld auch getrunken werden.
Ressourcenschonender können wir auch den Jahrgang 1973 bei amerikanischen Bordeaux-Blends empfehlen. Ein Jahrgang, welcher für immer untrennbar mit dem für die Europäische Weinwelt schmerzlichen «Judgement of Paris» verbunden bleibt. Oder der Jahrgang 1982 im Bordeaux, welcher vom damals unbekannten, amerikanischen Weinkritiker, Robert Parker, im Gegensatz zur gesamten europäischen Weinelite in den Himmel gelobt wurde – was zu seinem legendären Ruf geführt hat. Oder um zu unserem Spezialgebiet, dem Südtirol, zurückzukehren: Der Gewürztraminer Epokale 2009 der Kellerei Tramin, der erste 100-Punkte-Wein des Südtirols.
Eine Übersicht über die guten und hervorragende Weinjahrgänge im Südtirol zum Abschluss. Damit Sie bei Ihrem nächsten Weinkauf auf der sicheren Seite sind.
Wichtig: Besonders in anspruchsvollen und durchzogenen Jahrgängen ist die vorgängige Degustation der Weine absolut zentral. Oder eine kompetente Beratung und fundierte Kaufempfehlungen durch den Weinhändler Ihres Vertrauens – zum Beispiel durch uns von Weinvogel.
Weinjahrgang 2020 im Südtirol: Die Witterung rund um die Reife der Trauben war sehr schwer zu prognostizieren. Die Lesetermine mussten deshalb kurzfristig angesetzt werden. Wer bei diesem Glücksspiel die richtige Zahl gewürfelt hat, brachte hervorragende Blauburgunder- und Lagrein-Trauben in den Keller. Die Merlot- und Cabernet-Trauben wurden in der Tendenz eher zu früh gelesen, um das schlechte Wetter zu vermeiden. Weissweintrauben werden früher gelesen, wodurch ihnen die Wetterkapriolen erspart blieben und in der Breite ein guter Jahrgang gekeltert werden konnte. Besonders gelungen sind viele Chardonnays.
Weinjahrgang 2021 im Südtirol: Das Weinjahr 2021 begann mit einer Hypothek aus (zu) kühlen Temperaturen und einem damit zusammenhängenden Wachstums- und Entwicklungsrückstand der Trauben, welche während der gesamten Wachstumsperiode nicht mehr aufgeholt werden konnte. Im Sommer bildeten die ununterbrochenen Regenfälle die grosse Herausforderung. Dank einem gelungenen Spätsommer und dem Bilderbuchherbst, profitierten die Weissweintrauben und spätreifende rote Sorten überproportional. Die höheren Säurewerte führen zu schlankeren, frischeren Weinen, was den Weissweinjahrgang 2021 zu einem aussergewöhnlichen Jahrgang macht. Für Rotwein gilt: Unbedingt vor dem Kauf degustieren.
Weinjahrgang 2022 im Südtirol: Die grossen Herausforderungen war ein Hitzesommer mit potentiellem Wachstumsstopp der Reben sowie Sonnenbrand bei den Trauben (das ist kein Witz). Im Gegenzug erhielten die Winzer/innen einige zusätzliche freie Tage durch die hitzebedingte Abwesenheit des echten oder falschen Mehltaus und der anderen Pilzkrankheiten. Trotz den hohen Temperaturen gab es einen guten Wechsel zwischen heissen Tagen und kalten Nächten, wodurch sich in den reifen Trauben die wichtigen Säurewerte konservierten. Die hitzebedingt kleineren, vollreifen und konzentrierteren Traubenbeeren bringen hocharomatische, dichte und körperreiche Weinen hervor. Gute Weisswein und hervorragende Rotweine sind die Folge.
Weinjahrgang 2023 im Südtirol: Ein Schockmoment im September waren die heftigen Niederschläge! Durch die temperaturbedingt verspätete Blüte verzögerte sich der Lesezeitpunkt, was die reifen Traubenbeeren besonders anfällig Infektionen und Pilzerkrankungen machte. Wer zu diesem Zeitpunkt die Weissweintrauben bereits im sprichwörtlich Trockenen hatte, produziert hervorragende Weine. Wer hoch gepokert hatte, konnte den goldenen Herbst im Oktober noch dazu nutzen, um die roten Trauben voll ausreifen zu lassen. In der Breite insgesamt ein eher frischer, fruchtbetonter Jahrgang mit schlanken Weinen. In Einzelfällen bei Rotwein auch hervorragende Qualitäten, wer den goldenen Herbst voll ausschöpfen konnte. Die Weissweine sind insgesamt gut bis sehr gut, mit Frische und Eleganz.